Protest
Friedhöfe können einen zweifeln lassen. Ende aus. Alles vorbei. Heute möchte uns der Hebräerbrief Mut machen, trotz allem zu vertrauen. Es ist ein Appell. Und auch unser Beter appelliert an Gottes Macht.
Friedhöfe können einen zweifeln lassen. Ende aus. Alles vorbei. Heute möchte uns der Hebräerbrief Mut machen, trotz allem zu vertrauen. Es ist ein Appell. Und auch unser Beter appelliert an Gottes Macht.
Wer nicht fragt, bekommt auch keine Antworten, meint Anja Kieser, und wer keine Schwäche zeigen kann, wird nie erfahren, wie es ist getragen zu werden.
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Ein „Protest gegen den Tod“, lautet die Überschrift über dem 16. Sonntag nach Trinitatis der in den Kirchen am 24. September gefeiert wird. Und zu diesem Protest wird der Wochenspruch gereicht: „Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium.“
Ach ja, ich protestiere gerne gegen den Tod. Vor allem, weil ich diese Woche auf einer Beerdigung war. Ich sehe die Tränen des Mannes, der Kinder und Enkel vor mir. Natürlich ist da Dank für viele gemeinsame Lebensjahre. Für viel Gutes. Aber da ist auch viel Schmerz. Die Verstorbene fehlt. Nicht nur der engsten Familie, auch vielen anderen, die zum Abschiednehmen gekommen sind. Ja, sie durfte über 80 werden, war erst in den letzten Wochen krank und doch: Ich will gegen den Tod protestieren! Er ist gemein, er macht kaputt, er ist endgültig und hat deshalb Macht.
Mein Protest gegen den Tod wandelt sich in Wut, als wir zum Grab der Verstorbenen über den Friedhof gehen, denn er führt uns vorbei an den Gräbern der verstorbenen Soldaten aus dem 1. und 2. Weltkrieg. Junge Männer, manche gerade mal 20 Jahre alt, manche sicherlich junge Familienväter. Es geht vorbei an den Gräbern der unbekannten Soldaten. Nur der Fundort der Toten ist vermerkt. Ich protestiere gegen den Tod – in diesen Fällen, gegen den so sinnlosen Tod. Dabei denke ich an die Ukraine und die vielen, vielen Länder dieser Welt in denen sinnlos getötet wird. Ist der Tod nicht schon schwer genug? Muss es auch noch ein so sinnloser sein?
Und dann stehen wir am Grab und mein Blick geht zum Grab daneben. Auch ein neues Grab. Ich sehe den Namen und erschrecke: Eine Frau, die einst mit mir im Kindergarten war, viel zu früh dem Krebs erlegen. Ja, ich protestiere gegen den Tod.
„Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium.“
Ja, Jesus, ich will, dass dieser Tod seine Macht verliert. Er nimmt einen Platz ein, dem ich ihm nicht einräumen will. Was kann ich ihm entgegensetzen? Jesus, schlägt mir der Wochenspruch vor. Gar nicht so einfach, wenn ich an die Situation auf dem Friedhof denke. „Jesus“, frage ich, „was kannst du mir sagen?“ Und ich höre die Worte, die wir in der Lesung gehörte haben, aus dem Hebräerbrief: „Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, auf dass ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.“
Da hat der Schreiber des Hebräerbriefs wohl auch so ein Häufchen Elend vor sich, wie ich gerade eins bin in meiner Verunsicherung und Wut. Seine Worte sind ein Appell. Ein Einschwören der Zuhörer auf das Wesentliche. Vielleicht weil die Adressaten straucheln. Vorbei die erste Jesusbegeisterung. Erfahrungen gemacht mit Leid und Tod trotz neugefundenem Glauben an Jesus, den Christus, den Auferstandenen. Ich höre den Schreiber rufen: „Halt, Leute, jetzt nicht in die Verzweiflung weiter hineinrennen, nicht anstecken lassen von denen, die euren Glauben nicht ernstnehmen, die den Zweifel in euch schüren, nicht von den Ängsten bestimmen lassen und nicht alles über Bord werfen, was ihr angefangen habt zu glauben. Haltet ein und werdet ruhig. Schaut in euch hinein und fangt neu an zu vertrauen. Jesus zu vertrauen.“
So reden diese Worte zu mir.
Und in mir beginnen sich Gedanken zu sortieren.
Da ist der Mensch, der dem Tod Macht einräumt, in dem er Kriege führt, andere Menschen verhungern lässt, dem menschheitsgemachten Leid nichts entgegensetzt. Da macht der Mensch den Tod erst mächtig.
Und ansonsten? Ist der Tod nicht verhandelbar. Er ist uns mitgegeben von der ersten Sekunde an, in der neues Leben entsteht. Im Geborenwerden ist die Vergänglichkeit inbegriffen. Es gibt das Sterben durch Krankheit und Unfall viel zu früh; den Tod, der einen mitten herausreißt aus dem Leben; es gibt den Tod, der kommt, weil das Alter die körperlichen Kräfte verzehrt. Verhandelbar ist das nicht. Trauer, Schmerz, gar Verzweiflung, in jedem Fall eine große Veränderung für die, die Abschied nehmen müssen, sind immer seine Wegbegleiter. Verhandelbar ist er nicht, der Tod. Und verfügbar? Auf den ersten Blick nicht. Auf den zweiten vielleicht schon. Gott bietet mir einen Weg an, dem Tod etwas entgegensetzen. Wenn es ihn schon gibt, dann braucht es einen Weg mit ihm umzugehen. Dem Tod, den Stachel zu nehmen, wie es in einem Kirchenlied heißt. Seine Macht zu begrenzen. Gott will seine Menschen selbst ermächtigen. Ihnen Macht über den Tod einräumen. Es wird ihn dennoch geben, aber die Frage wird sein: Wie viel Macht wird er über mich haben? Wie sieht also der Protest gegen den Tod aus?
Der Protest beginnt mit Vertrauen. Vertrauen darauf, dass Gott, die umfassende Schöpferkraft, über allem steht, allmächtig ist. Unser Sein bevor wir waren, und unser Sein nachdem wir waren, liegt wie unser ganzes Sein in seinen Händen. Gott ist die Hülle, die uns umgibt. Dieses Vertrauen dürfen wir suchen und finden, damit es uns trägt. Sogar durch den Tod hindurch. Dieses Vertrauen, so sagt es uns der Schreiber des Hebräerbriefes, können wir in der Beziehung zu Jesus aufbauen, da bekommt es Hand und Fuß. Ein Gesicht in dieser Welt. Vertrauen in Jesus, bedeutet leben mit ihm.
Das eigene Leben durch ihn gestalten, in dem ich mich immer wieder frage: Was würde Jesus jetzt tun? Würde er hier hinhören und handeln? Würde er diesem Menschen eine Chance geben? Wie würde er damit umgehen?
Wenn das eigene Leben durch Jesus Gestalt annimmt, dann heißt das auch, dass ich mich dem Schmerz und Leid nicht verschließe. Jesus selbst hat das erlebt. Schmerz und Leid gehören zu diesem irdischen Leben. Auch Jesus kannte Verzweiflung. Gerade dann suchte er die Verbindung zu Gott. Das war sein Halt. Das ließ ihn aushalten. Dieses Vertrauen stärkte ihn. Es will auch mich stärken.
Der Tod ist nicht verhandelbar. Aber seine Macht über mich begrenzbar. Die Trauer, die er mitbringt, kann groß und schmerzhaft sein, aber das Vertrauen in Gott, kann die kleine Flamme der Hoffnung am Leuchten halten. Wenn wir Ostern feiern, das fest der Auferstehung Jesu von den Toten, dann feiern wir auch, dass wir Gott vertrauen wollen, dass das auch für uns gilt, dass wir diese Hoffnung haben dürfen. Ja, das ist nicht leicht, wenn man über den Friedhof geht. Das ist nicht leicht, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Das ist nicht leicht. Aber dem, das Vertrauen in Gott entgegenzusetzen, dass wir alle in seinen Händen geborgen sind, durch den Tod hindurch. Dass das Leben mehr ist, als das, was wir hier auf Erden sehen. Dieses Vertrauen, auch wenn es noch so klein ist, diesem Tod entgegenzusetzen, ist besser als die Resignation, als das reine „Damit-abfinden-müssen“. Das Vertrauen kann helfen loszulassen, kann trösten in der Trauer, kann Schmerz lindern und Balsam sein für offene Wunden. Dieses Vertrauen in Gott, in Jesus Christus, setzt dem Tod eine größere Macht entgegen. Der Endgültigkeit und auch der Sinnlosigkeit.
Der Hebräerbrief verschweigt nicht, dass es dafür Geduld braucht, denn unsere menschlichen Erfahrungen, sie werden uns immer wieder in Zweifel führen, unser Vertrauen erschüttern. Haltet ein und haltet am Vertrauen fest. Ruft er uns zu, der Schreiber.
Er wünscht uns Geduld. Geduld, die ich vielleicht dann bekomme, wenn ich mich immer wieder erinnere, wann und wo ich im Vertrauen auf Gott gute Wege in meinem Leben geführt wurde. Geduld und Vertrauen – das soll uns nicht vertrösten, sondern Mittel sein gegen den Tod. Echter Trost. Eine Macht, die dem Tod seine Macht nimmt. Und wenn ich nicht mehr Vertrauen kann, dann darf ich in Angst und Verzweiflung Gott bitten, mir neues Vertrauen zu schenken. Ich bin überzeugt davon, dass Gott es schenken wird. Gott seine Menschen zur Freiheit bestimmt, daran soll auch der Tod nichts ändern. Jesus Christus hat dem Tod die macht genommen. In ihm liegt die Freiheit über den Tod hinaus.
Amen
Foto: @ radio m 
radio m ‐ Hörfunkagentur der Evangelisch-methodistischen Kirche in Kooperation mit dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) im Auftrag der VEF.

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