Wer wird mir gerecht?
Vor Gott gerecht zu werden, ist praktisch unmöglich. Aber gefordert ist es dennoch. Wie soll das funktionieren? Paulus hat eine Idee und ein Psalmbeter weiß, warum Gott das beste Gegenüber ist.
Vor Gott gerecht zu werden, ist praktisch unmöglich. Aber gefordert ist es dennoch. Wie soll das funktionieren? Paulus hat eine Idee und ein Psalmbeter weiß, warum Gott das beste Gegenüber ist.
Wer denkt, glaubt tiefer, ist Gerrit Mathis überzeugt, auch wenn es anstrengend ist. Lohnt sich aber.
Alle Inhalte dieser Website sind urheberrechtlich geschützt. Hierunter fallen neben Audio-Dateien auch Textbeiträge, Fotografien, Broschüren wie auch Präsentationen. Bitte beachten Sie, dass ein Urheberrechtsschutz unabhängig von einer Registrierung, Eintragung oder einer Kennzeichnung beispielsweise mit ©️ besteht.
An den Inhalten dieser Internetpräsenz hat radio m die alleinigen, ausschließlichen Nutzungsrechte. Sollten Sie Audioinhalte weiterempfehlen wollen, benutzen Sie dazu bitte ausschließlich die angebotene Funktion unter „Teilen“! Eine Vervielfältigung, Bearbeitung, Veränderung, Nachdruck, Veröffentlichung, Vorführung etc. ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung von radio m zulässig. Anfragen hierzu nehmen wir gerne unter info@radio-m.de entgegen.
Was redet der? „Gerechtigkeit wird offenbart.“ Was ist denn das für ein mystisches Geschwafel? Gerechtigkeit? Das ist dieses römische Fräulein mit der Augenbinde und dem technischen Gerät namens Waage, Justitia, die Holde. Tariert sich Tag für Tag ohne hinzugucken dumm und dämlich: Recht gegen Pflicht, Anspruch gegen Erfüllung, Verfehlung gegen Wiedergutmachung, Vergehen gegen Strafe. Da reicht moralisch-mathematisches Grundverständnis, da braucht man keine Offenbarung. Bisschen Panne, Paulus!
Es sei denn… Es sei denn, wir müssten dieses Gerechtigkeitsding irgendwie anders verstehen. Und, ok, sorry, Paulus, das war gerade nicht ganz fair, du meinst es auch anders. Um dich zu verstehen, muss man im Deutschen umformulieren, dann wird es ganz schnell viel klarer. Gottes Gerechtigkeit meint: Gott will uns gerecht werden. So wie wir sagen, „dem bin ich leider nicht gerecht geworden“. Wenn ich über seine Bedürfnisse, Fähigkeiten, Möglichkeiten, sein Leid, seine Rückschläge und blauen Flecken hinweggegangen bin, dann bin ich dem anderen nicht gerecht geworden. Jemandem gerecht zu werden, heißt, all das zu berücksichtigen, damit der andere der sein kann, der er ist. Und so will Gott uns gerecht werden. In seiner Gerechtigkeit zu leben, bedeutet deshalb: Ich gebe Gott die Möglichkeit, mir gerecht zu werden.
Das hat rein gar nichts mit Justitia, der blinden Hippe zu tun, die es eben und in diesem Fall leider wirklich nicht blickt. Oder vielleicht doch so: Das, was ich brauche, will Gott mir geben. So gesehen steht die Waage dann tatsächlich gerade. Aber diese Gerechtigkeit ist sehr individuell. Wer Kinder hat, kann es täglich erleben: Wer seine Kinder gleich behandelt, wird bestenfalls einem Kind gerecht, allen anderen nicht. Weil sie unterschiedlich sind und jedes etwas anderes anders braucht, damit es ihm gut geht. Oder eine andere Ansprache braucht, um zu verstehen, um zu tun, was es tun soll. Die Liebe weiß das, die Paragraphentreue ist dafür, ja, ganz Justitia: blind. Deshalb ist auch die Liebe der Schlüssel zur Gerechtigkeit, deshalb ist Gott gerade als Gerechter der absolut Liebende. Man kann dem anderen nicht wirklich gerecht werden, wenn man ihn nicht liebt. Aber weil Gott uns eben ganz und gar liebt, sind wir in seiner Gerechtigkeit so gut aufgehoben. Ein bisschen schwierig kann das aber für uns sein, weil wir im Hinterkopf meistens trotzdem noch Gerechtigkeit denken wie unsere alte römische Freundin Justitia. Die sagen würde: „Hömma, wenn du so geliebt wirst, musste aber mal schön zurücklieben, sonst haut’s die Waage auf der einen Seite satt nach unten und dann kannste das Geliebt-werden mal schön abhaken.“ So zu denken, liegt für uns nahe, Gott dagegen nicht im Ansatz. Solches Denken, basiert auf der Idee, dass Gerechtigkeit austariert sein muss. Dann schaue ich auf „Gottes Regeln“, die einzuhalten sind. Aber da ist die Schieflage schon da, weil ich etwas in die Waage bringen will, das per Waage nicht zu machen ist: Denn der Blick auf Regeln ist immer ein Blick weg vom Gegenüber. Da ist der Sündenfall schon eingetreten. „Sollte Gott gesagt haben?“, fragt die Schlange und verführt in diese Richtung. Sie lenkt Evas Blick weg vom Gegenüber hin zu einer Regel, sie entkoppelt das Gesagte vom Gegenüber. Wer betrachtet, was ein anderer sagt, ohne ihm dabei in die Augen zu schauen, kann ihm nicht gerecht werden. Im Gegensatz zu Justitia, die stolz ist auf ihre selbstgewählte Blindheit, ist Gottes Gerechtigkeit ohne den offenen, direkten und persönlichen Blick überhaupt nicht möglich.
Sicher, ich kann so unpersönlich und nüchtern Gottes Regeln von Gott entkoppeln und nur die Regel anschauen, dann auch noch mein Leben und dann sehe ich eine irre Kluft zwischen Gottes Anspruch und meiner Erfüllung. So betrachtet ist das Ergebnis klar: Ich mangle „des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen“, wie Paulus an anderer Stelle schreibt. Ich erfülle Gottes Ansprüche nicht. Sein Gesetz, wie Paulus schreibt, tut nichts anderes, als mir zu zeigen, welch ein Versager und Sünder ich bin. Damit ist der Job des Gesetzes aber schon erledigt. Justitia sagt mir jetzt: Bring das wieder in die Waage. Gottes Gerechtigkeit dagegen sagt: „Hör mal, das ist nicht der Punkt. Sicher, du musst erkennen, dass du weit weg von mir bist, ihr euch das Leben zur Hölle macht und euch selbst und einander nicht gerecht werdet und das alles im Tod enden wird. Und ja, du musst erkennen, dass du das nicht mit eigenen Mitteln lösen kannst. Aber das ist jetzt nicht noch ein weiterer Mangel, der dich noch tiefer ins Verderben zieht, sondern eine lebenswichtige Erkenntnis, damit du endlich mit diesem Unsinn der Selbsterlösung aufhörst und damit, dich schön, stark und gerecht reden zu müssen, um vor deinen falschen Maßstäben bestehen zu können. Das Gesetz ist dazu gedacht, dir klarzumachen, so geht es nicht weiter. Damit du fragst: Wie dann? Und dann sage ich dir: Indem du einfach zu mir kommst. Ich will dir gerecht werden. Lasst das mal zu. Lasst es dir gefallen, denn es wird dir gefallen. Du wirst merken, was es bedeutet, dass ich gerecht bin: dass ich dich liebe.“ Wer jetzt Liebe mit „dann muss ich jetzt aber auch…“ verbindet, hat von Liebe keine Ahnung. Auch von menschlicher nicht. Wer liebt, will lieben, will die andere lieben, weil er nicht anders kann. Weil es ihm den Magen rumdreht, wenn er jetzt nicht für die andere ist. Weil er daran zugrunde geht, wenn er nicht für die andere alles geben darf. Und so eine Liebe ist eine unendlich große und wahnsinnig kreative, schöpferische Kraft. Voller Phantasie und Ideen, voller Leben.
Von dieser Liebe Gottes habe ich dann etwas, wenn ich ihr glaube. Wenn ich Gott glaube, dass er mich so unfassbar liebt, dass er mir durch und durch gerecht werden will. Dann bin ich gerecht.
Spannend ist, dass Paulus als Beleg dafür einen Satz aus den alten jüdischen Schriften heranzieht. Er schreibt ja an Heidenchristen in Rom, die keine Ahnung vom Propheten Habakuk haben. Aber es klingt schlüssig, weil es als Beleg dient, dass Paulus‘ Worte keine neue selbst erdachte Mode sind. Und es ist spannend, dass er alles auf den Glauben an Gott fokussiert, nicht auf Kreuz und Auferstehung. Auf einen Glauben, der schon vor Jesus möglich war, bei Abraham oder Mose, die aufgrund ihres Glaubens gerecht wurden und nicht aufgrund von Kreuz und Auferstehung. Und auch nicht aufgrund seines Glaubens an den Auferstandenen. Das darf einem zu denken geben. Welche Rolle spielt Jesus dann? Den Christen in Korinth erläutert Paulus ja eindringlich, warum ohne den auferstandenen Christus alles Humbug wäre.
In Christus ist offenbar geworden, wie unendlich groß Gottes Liebe zu uns ist.
In Christus ist offenbar geworden, wie nah Gott uns Menschen kommen will, um uns gerecht zu werden.
In seiner Auferstehung ist offenbar geworden, dass Christus tatsächlich Gott ist und kein frommer Schwätzer und dass dieser unendliche nahe und unendlich liebende Gott auch die Macht hat, uns zu erlösen, über den Tod hinaus.
An diesen Jesus Christus zu glauben, den Auferstandenen, heißt: Diesen Gott an mich heranzulassen, der mir vergeben hat, der mir gerecht werden will.
Und wenn wir uns erlauben, seine Liebe, mit der er uns gerecht wird, spüren, zulassen, an uns wirken lassen, werden wir merken, dass dieses Evangelium eine Kraft Gottes ist, die selig macht. Die die Seele heilt und mich verändert, dass ich der werde, als der Gott mich geschaffen hat. Mich in diesem Glauben Gott zu nähern, indem ich ihn mir nahekommen lasse, das heißt, erlöst zu sein: endlich Frieden zu finden und heil zu werden – wenn ich höre:
„Ich liebe dich und ich tue alles für dich, ich sterbe für dich, alle Ungerechtigkeit in deinem Leben, alle Ungerechtigkeiten, die du selbst begangen hast auch an dir, alles werde ich übernehmen, damit DU frei wirst. Weil ich dich so unendlich liebe.“
Bei diesem Gott merke ich, dass es so leicht ist ehrlich zu ihm zu sein, er gibt mir Zeit, wenn ich sage, ich bin noch nicht so weit. Weil er sieht, was ich sonst niemandem zeige. Weil ich ihm erzählen kann, was ich mir selbst verschweige. Er fragt: „Wo bist du? Ewig kein Wort von dir, ich mache mir Sorgen, was ist passiert? Ich will dich nicht nerven, aber ich will dich nicht verlieren. Kannst du mir glauben? Komm zu mir, halte dich an mir fest, auch wenn alles zerbricht. Ich mach alle Lichter an, auch wenn du sie gerade nicht sehen kannst, ich warte, ruf mich einfach an und komm nach Hause, wenn du kannst. Du fehlst!“
© radio m

radio m ‐ Hörfunkagentur der Evangelisch-methodistischen Kirche in Kooperation mit dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) im Auftrag der VEF.

Lieber Gerrit,
herzlichen Dank für die wundervolle Predigt. Du sprichst mir aus dem Herzen!
LG
Biggi